Bilder vom Empfang: Gäste, Blumen; Bild: Paula Panke

Heike Gerstenberger, Karin Onnen, Astrid Landero, Monika Martin, Helga Adler und Stephanie Wittenburg (v.l.n.r.), Bild: Paula Panke

30 Jahre Zufluchtswohnungen bei Paula Panke e.V.

Empfang im Pankower Rathaus

1994 eröffnete Paula Panke e.V. die erste Zufluchtswohnung, 2024 wurde die dritte angemietet – doch der Bedarf an Schutzplätzen ist weiterhin groß. 30 Jahre Engagement gegen Gewalt an Frauen und ihren Kindern und kein Ende der Gewalt ist in Sicht.

Paula Panke hat das Jubiläum trotzdem genutzt und zum feierlichen Empfang am 28. November 2024 in den Emma-Ihrer-Saal des Pankower Rathaus eingeladen. Der Verein würdigte die erfolgreiche Arbeit der Mitarbeiter*innen und Unterstützer*innen. Denn durch die gemeinsamen Anstrengungen in der Antigewaltarbeit konnte in den letzten 30 Jahren 228 Frauen und 243 Kindern die Chance auf ein gewaltfreies Leben eröffnet werden.

Wir müssen lauter werden

Heike Gerstenberger bei ihrer Rede, Bild: Paula Panke

Heike Gerstenberger führte durch den Abend. Sie begleitete 30 Jahre als Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamts Pankow die Arbeit von Paula Panke und kennt sowohl Probleme als auch Erfolge in der Antigewalt- und Gleichstellungsarbeit. Ihr Fazit nach über 3 Jahrzehnten Engagement:

„Wir müssen wesentlich lauter werden und vielleicht auch andere Formen des Protestes finden.“

Warum die Fälle von Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft zunehmen, warum Femizide – also die Tötung von Frauen/FLINTA*, weil sie Frauen/FLINTA* sind – zunehmen, das hat strukturelle Gründe. Gründe, die tief in unserer Gesellschaft verankert sind und die wir nur gemeinsam verändern können.

Mythen verschleiern männliche Verantwortung für Gewalt

Gastrednerin Susanne Schmollack, Autorin und Redakteurin bei der taz, unterstreicht in ihrer Rede, dass die Ursachen und Folgen von Gewalt und Femiziden in demokratischen Gesellschaften noch nie so klar benannt wurden wie heute. Und doch hielten sich hartnäckig Mythen, die diese Übergriffe relativieren. Sie benennt fünf davon und widerlegt sie.

Simone Schmollack bei ihrer Rede, Bild: Paula Panke

Mythos Nr. 1:
Es handelt sich um Familienstreitigkeiten, nicht um Gewalt.

Mythos Nr. 2:
Frauen provozieren Gewalt.

Mythos Nr. 3:
Gewalt gibt es nur in bestimmten sozialen, bildungsferneren Schichten und in Problemfamilien.

Mythos 4:
Gewalt entsteht am häufigsten unter Einfluss von Alkohol und Drogen.

Mythos 5:
Auch Frauen sind ihrem Partner gegenüber gewalttätig, die Frau hat angefangen, den Mann zu ärgern.

Diese Mythen beruhen auf falschen Erklärungsmustern, arbeiten gern mit der Täter-Opfer-Umkehr, und suggerieren, dass sich Frauen als Opfer doch leicht aus einer Gewaltspirale herauslösen können.

„Diese Mythen verkennen die männliche Verantwortung für die Gewalt und sorgen dafür, dass Opfer isoliert werden und die gesellschaftliche Verantwortung für Gewaltspiralen privatisiert wird. Was wiederum zu einer weiteren Gefährdung der Opfer führt.“

Simone Schmollack betont, es werde in unserem Land schon viel getan, um die Folgen von Partnerschaftsgewalt zu mildern wie das Angebot von Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen, das Hilfetelefon und neue Gesetze. Aber bei der Prävention, die dringend nötig ist, sieht es weniger gut aus.

Eine nationale Strategie der Gewaltprävention fehlt

Es gibt die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das seit 2018 in Deutschland implementiert ist. Der 2022 veröffentlichte Evaluationsbericht der europäischen Untersuchungskommission zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland zeigt, dass es Mängel und Defizite gibt. Es fehlt eine nationale Strategie und aufgrund der fehlenden Strategie gibt es keine nationale Koordinierungsstelle, die für die Umsetzung der Istanbul-Konvention aber dringend nötig wäre. Es fehlen sichtbare Bemühungen, um von Gewalt betroffenen Frauen zu einer besseren ökonomischen Situation zu verhelfen, u.a. durch Hilfe bei der Jobvermittlung oder einer Sozialwohnung.

Lagebild 2024: Gewalt gehört zum Alltag von Frauen

Stephanie Wittenburg, die aktuelle Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Pankow, geht in ihrer Rede genauer auf die Istanbul Konvention und deren schleppende Umsetzung in Deutschland ein.

Im Oktober 2017 hat die Bundesrepublik Deutschland die Istanbul-Konvention ratifiziert. Am 1. Februar 2018 trat sie unter Vorbehalt in Kraft. Seit dem 1. Februar 2023 gilt sie uneingeschränkt. Im November 2024 veröffentlichte die Bundesregierung das erste bundesweite Lagebild zu „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ und fasst zusammen: Gewalt gehört zum Alltag von Frauen.

In ihrer Rede betont Stephanie Wittenburg: „Wir haben also ein Gewaltproblem in Deutschland und gleichzeitig kein gesamtgesellschaftliches Problembewusstsein für dessen Dimension.“

Es fehle an dem Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Thema Gewalt und Geschlecht, Männlichkeit und damit verbundenen Rollenbildern. Die Istanbul-Konvention versteht geschlechtsspezifische Gewalt als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung im öffentlichen und privaten Raum.

Stephanie Wittenburg hebt hervor, dass die Istanbul-Konvention im Einklang mit Artikel 2 des deutschen Grundgesetzes steht: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

„Das bedeutet auch, dass häusliche Gewalt keine Privatsache ist und wann immer wir davon erfahren oder diese gar miterleben, nicht wegschauen dürfen.“

Fehlendes Gewalthilfegesetz ist beschämend

Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Frauen mit Behinderungen sind zwei- bis viermal häufiger betroffen. Spezielle Schutzplätze fehlen für sie weitestgehend. Deshalb hat Paula Panke 2019 angefangen, die angemieteten Schutzwohnungen für taube Frauen/TIN*Personen und ihre Kinder speziell auszustatten. Die neue dritte Wohnung wird derzeit rolligerecht eingerichtet. Die Sozialarbeiterinnen des Vereins bilden sich in Gebärdensprache weiter. An diesem Abend übersetzen zwei Gebärdendolmetscherinnen die Redebeiträge.

Das Ausmaß der geschlechtsspezifischen Gewalt machen folgende Zahlen deutlich: Die jährlichen Folgekosten belaufen sich auf 2,75 Milliarden Euro, z.B. für Frauenhäuser, Beratungsstellen und gesundheitliche Versorgung.

Angesichts dieser Zahlen sei es beschämend, so Stephanie Wittenburg, dass das angestrebte Gewalthilfegesetz, in dem z.B. ein Rechtsanspruch auf einen Schutzplatz verankert sein soll, in dieser Legislatur noch nicht beschlossen wurde.

Das Bezirksamt Pankow arbeite daran, auch auf bezirklicher Ebene die Istanbul-Konvention umzusetzen, hebt Stephanie Wittenburg hervor.

Ein erster Schritt in diese Richtung sei die Schaffung einer Stelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention auf bezirklicher Ebene, weitere würden folgen.

„Die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die einen langen Atem braucht“, sagt Stephanie Wittenburg. Die Istanbul-Konvention halte dazu fest, dass die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern ein wesentliches Element zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen, Kindern und Jugendlichen sei.

Die Gleichstellungsbeauftragte dankte dem Verein Paula Panke ausdrücklich für die langjährige verlässliche Arbeit im Bereich der Antigewaltarbeit im Bezirk Pankow.

3 Geschäftsführerinnen und 3 Schutzwohnungen


Im Anschluss moderierte Nadja Bungard, stellvertretende Leiterin des Vereins Paula Panke, ein Podiumsgespräch. Zu Gast waren Helga Adler, Geschäftsführerin des Vereins von 1997 bis 2008, und Astrid Landero, Geschäftsführerin von 2008 bis 2020. Da die derzeitige Geschäftsführerin Kathrin Möller leider erkrankt war, saß Karina als Sozialarbeiterin mit auf dem Podium. Bemerkenswert ist: Bei jeder der Geschäftsführerinnen kam eine Zufluchtswohnung hinzu

Der Blick zurück zeigte: die Situation hat sich verbessert, doch gibt es immer noch viel zu tun. Paula Panke hat sich zwar in der Antigewaltarbeit einen Namen gemacht, sich Expertise angeeignet und verfügt über qualifiziertes Personal, doch bleibt die Existenz durch die Finanzierung als Projekt auch nach über 30 Jahren unsicher.

Als Besonderheit bei Paula Panke hebt Helga Adler die Kombination aus Zufluchtswohnung und Frauenzentrum hervor. Dieses integrative Angebot sei für Frauen und Kinder, die ihr gewohntes soziales Umfeld verlassen mussten, ein großer Mehrwert. Die Kombination aus Beratung, Unterstützung und Empowerment erleichtere es, sich aus gewaltvollen Beziehungen zu befreien. Astrid Landero würdigt insbesondere die Unterstützung der Pankower Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU, die Paula Panke zuverlässig mit passenden Wohnraumangeboten für die Schutzwohnungen unterstützt hat und weiter unterstützt. Sie hält fest, dass es heute viel mehr Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Gewalt als politisches Thema gibt. Da aber Prävention nur über veränderte gesellschaftliche Verhältnisse möglich sei, beunruhige sie die aktuell spürbar hasserfüllte Situation in unserem Land.

Das Aktionsbündnis gegen Gewalt an gehörlosen Menschen

In der Runde wurde besonders die Arbeit einer der sechs Vorstandsfrauen des Vereins, Monika Martin, gewürdigt. Sie setzt sich seit 2019 dafür ein, dass in den Schutzwohnungen bei Paula Panke auch taube Frauen/TIN* Personen und ihre Kinder betreut werden können. Gemeinsam mit einer ehemaligen Mitarbeiterin des Vereins sorgte sie für die entsprechende Vernetzung mit Akteur*innen in Berlin sowie der nötigen Ausstattung der Schutzwohnungen.

Unter der Leitung von Pfarrer Dr. Roland Krusche von der Gehörlosen- und Schwerhörigenseelsorgeder evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sowie Manuela Bublitz von der Sozialen Beratungsstelle für Gehörlose (EKBO) entstand das Aktionsbündnis gegen Gewalt an gehörlosen Menschen. Zum Bündnis gehören der Gehörlosenverband, die Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen, Sinneswandel, der Sozialdienst katholischer Frauen, Frauenort/Augusta (heute Hestia e.V.) Paula Panke e.V., Frauenhaus, BIG e.V., Polizei und andere. 2016 erhielt das Aktionsbündnis den Berliner Präventionspreis der Landeskommission Berlin gegen Gewalt.

Danksagungen

Der besondere Dank an diesem Abend ging an den Vorstand und die Mitarbeiterinnen von Paula Panke e.V., an die GESOBAU, das Bezirksamt Pankow – besonders an die frühere sowie die jetzige Gleichstellungsbeauftragte, an die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Integration, Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA), an die Politiker*innen der Bezirksverordnetenversammlung Pankow sowie des Abgeordnetenhauses von Berlin – hier insbesondere die gleichstellungspolitischen Sprecher*innen, die Initiator*innen des Aktionsbündnisses gegen Gewalt an gehörlosen Menschen, an BIG e.V., an alle unterstützenden intersektional-feministischen Organisationen des Bezirks und in Berlin sowie an die ehrenamtlichen Unterstützer*innen des Vereins sowie die Spender*innen.

Ausklang

Beim anschließenden Sektempfang im Foyer des Rathauses gab es Gelegenheit intensiven Netzwerken.

Musikalisch wurde der Abend auf Cello und Gitarre von  
Julia Dimitroff und Matthias Richter begleitet.

*FLINTA – Frauen, Lesben, inter, nonbinäre, trans und agender Personen
*TIN – trans, inter, nonbinäre Personen

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