Elke Schilling (l.), Nadja Bungard, Bild: Paula Panke

Elke Schilling (l.), Nadja Bungard, Bild: Paula Panke

Lesung mit Elke Schilling: Die meisten wollen einfach mal reden.

„Im Alter ist die Vielfalt am größten“, sagt Elke Schilling bei ihrer Lesung im Frauenzentrum Paula Panke am 7. Juni 2024 und meint damit die Unterschiedlichkeit der Menschen zwischen 60 bis 115 Jahren. Denn so groß, 55 Jahre!, ist die Altersspanne der Anrufer*innen bei Silbernetz, der bundesweiten Telefon-Hotline für Menschen 60+, die einfach mal mit jemandem reden wollen. Was diese Menschen erzählen und mit welchen Sorgen sie konfrontiert sind, hat Elke Schilling jetzt in dem Buch „Die meisten wollen einfach mal reden“: Strategien gegen Einsamkeit im Alter aufgeschrieben.

Die Anonymität des Gesprächs als Schutzraum

Elke Schilling hat die Hotline Silbernetz 2018 gegründet. Die Vorbereitungen dafür haben vier Jahre gedauert. Seitdem betreut die fast 80-Jährige die Hotline ehrenamtlich – in Vollzeit. Es gibt 12 Angestellte und 53 Ehrenamtliche. Täglich rufen 220 Menschen an und nutzen die anonyme Gesprächsmöglichkeit. Hinzu kommen 240 Silbernetz-Freundschaften – anonyme Telefonate mit immer der gleichen Person. Die Anonymität des Gesprächs bietet den Schutzraum, um über schwierige Themen zu sprechen. „Was ich vom Leben geschenkt bekommen habe, sollte nicht auf der AIDA vergammeln“, sagt Elke Schilling und meint damit die Kreuzfahrten für Senior*innen. Die Diplom-Mathematikerin, Informatikerin, Politikerin und Organisationsentwicklerin hatte in ihrem Leben reichlich Gelegenheit Erfahrungen zu sammeln.

Altsein ist negativ besetzt

Die Idee für das Silbernetz kam ihr, als sie als Granny Aupair in Ägypten Radio hörte und es dort einen Bericht über Silberline, das Äquivalent Großbritannien, gab. Elke Schilling besuchte später die Gründerin in London und fragte ihr Löcher in den Bauch, wie so eine Hotline funktioniert. Das berichtet sie mit Begeisterung und einem Lachen, das ganz typisch für sie ist. Elke Schilling lacht das Lachen auch, wenn sie von den vielen Missständen berichtet, die Menschen im Ruhestand betreffen. „Das Wort Ruhestand ist schon per se diskriminierend“, sagt sie. „Es suggeriert Stillstand, als wären diese Menschen überflüssig.“

Dieser Zorn über Ungerechtigkeiten treibt sie an. Und um diese Ungerechtigkeiten geht es auch in ihrem Buch, aus dem sie an diesem Abend liest. Das fängt damit an, dass das Wort „alt“ in unserer Gesellschaft bereits negativ besetzt ist und mit der Angst vor dem Alter sehr viel Umsatz gemacht wird. Alt sind immer die anderen. Diese Haltung allein führt zu Selbsteinschränkungen.

Die meisten kennen Hilfsangebote nicht

Jeder dritte Mensch in dieser Altersgruppe kennt die Hilfsangebote in seinem Wohnumfeld nicht. Darin eingeschlossen sind Leistungen des öffentlichen Dienstes. Obwohl ein verbrieftes Menschenrecht, wird die Kommunalpolitik mit der Versorgung von Menschen 60+ von der Bundesregierung weitestgehend allein gelassen. Meist sind es unterfinanzierte Kann-Leistungen, von denen Menschen ohne Internet nichts wissen und so unter Umständen von lebensnotwendigen Informationen abgeschnitten sind. Diese Erfahrung machen wir auch im Frauenzentrum Paula Panke und im Frauenladen Paula.

Informationsarmut führt zu Einsamkeit

Die Informationsarmut ist eine Schwierigkeit, mit der Ältere zu kämpfen haben, die nur Gedrucktes gewohnt sind. Auch das führt zu Einsamkeit, der Kehrseite von Alleinsein. Der Übergang ist oft fließend und Autonomie schlägt in Hilflosigkeit um. Das Ideal der Kleinfamilie und die enge Bindung an eine*n Partner*in tragen zur Kontaktarmut bei. „Autonom leben zu können ist eines der absurdesten Ideale unserer Zeit“, steht im Buch. „Als soziale Lebewesen sind wir in jeder Lebensphase abhängig von anderen Menschen.“ Und Einsamkeit im hohen Alter betrifft vor allem Frauen/FLINTA*, wegen der durchschnittlich höheren Lebenserwartung.

Frauen/FLINTA* haben ein hohes Risiko für Einsamkeit im hohen Alter

Die Risikofaktoren für Einsamkeit sind Wohnort, Geschlecht und Einkommen. Auch im Pflegeheim sind Menschen einsam. Frau/FLINTA* sein und damit mehr von Altersarmut betroffen, verstärkt das Risiko der Einsamkeit im Alter. Hinzu kommen einseitige Mobilitätskonzepte, die nicht auf die Bedürfnisse von Menschen zu Fuß, am Rollator und ohne Auto ausgelegt sind. Sie sind durch den Vorrang des fließenden Verkehrs von lebensnotwendigen Versorgungsangeboten abgeschnitten. 

Einsamkeit ist nicht nur ein Problem für Generationen ab 60 Jahren

Einsamkeit ist Dauerstress und wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Menschen sterben allein in ihren Wohnungen und werden oft erst nach Tagen oder Wochen gefunden. So ist es auch einem Nachbarn von Elke Schilling ergangen, dem sie Hilfe angeboten und der diese abgelehnt hat. Irgendwann hat sie dann den blauen Leichensack gesehen, der aus der Wohnung getragen wurde. Auch eine starke Motivation, Silbernetz zu gründen.

Aber Einsamkeit ist nicht nur ein Thema für Menschen 60+, um mit einem weiteren Altersstereotyp aufzuräumen. Betroffen sind vor allem auch Jugendliche ab 18 Jahren, Alleinerziehende, Menschen mit wenig Einkommen und pflegende Angehörige. Das hat gerade der Einsamkeitsreport der Bundesrepublik bestätigt. 

Was kann man gegen Einsamkeit tun?

Die zusätzlichen Jahre als das nehmen, was sie sind: ein Geschenk. Sein Alter genießen. Den Kontakt zu anderen Menschen bewahren. Neugierig bleiben und Hilfe aktiv nachfragen. Vorkehrungen für kritische Lebenssituationen z.B. durch Vollmachten treffen. Bei Stadtteilzentren, in Senior*inneneinrichtungen oder bei Paula Panke vorbeischauen. Und natürlich:

Bei Silbernetz anrufen: 0800 4 70 80 90 Täglich von 8 bis 22 Uhr. Anonym, vertraulich und kostenfrei

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