Die Trümmerfrau und Aufbauhelferin – ein Mythos? Wer kennt sie nicht, die Bilder der Frauen, die nach Ende des 2. Weltkrieges in den Ruinen stehen und fröhlich den Putz von den Ziegelsteinen klopfen. Alles nur inszeniert? Es gab sie doch, diese Frauen – oder etwa nicht? Was soll daran ein Mythos sein?
Ein Grund, sich das genauer anzuschauen: Am 17. Oktober 2024 war Dr. Joanna Szkolnicka vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (CfP) mit Sitz in Pankow zum Nachbarschaftsgespräch im Frauenzentrum Paula Panke zu Gast. Bereits im September gab es im CfP eine Tagung zu dem Thema: “Nach jedem Krieg muss jemand aufräumen. Mythos der ‚Trümmerfrauen‘ und ‚Aufbauhelferinnen‘ und der tatsächliche Beitrag von Frauen sowohl zum Wiederaufbau als auch zum Neubeginn nach dem Ende bewaffneter Konflikte.“
Trümmerräumung galt als Strafarbeit
Bei der Tagung war auch die Sozialhistorikerin Dr. Leonie Treber zu Gast, die 2014 die einschlägige Untersuchung “Mythos Trümmerfrauen” veröffentlicht hat. Das Ergebnis:
Die Trümmerräumung war Strafarbeit. Noch im Krieg setzte die NSDAP dafür ausländische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge ein, oft Frauen. In den Jahren 1945/46 war das nicht sehr viel anders: die Alliierten setzten Trümmerräumung als Strafmaßnahme gegen Nazi-Funktionär*innen ein. Die meisten anderen arbeiteten, um bessere Lebensmittelkarten zu erhalten. Die Untersuchung zeigt:
- Es räumten nur Wenige auf.
- Die, die aufräumten, machten das keineswegs freiwillig und sie räumten vor allem in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Trümmer weg.
- Außerdem: 400 Millionen Kubikmeter Schutt waren nicht mit Eimern zu beseitigen.
Die Trümmerfrau als identitätsstiftender Mythos
Treber schreibt in ihrem Buch, dass die Trümmerfrauen seit den 1980er Jahren in die “Trias der gründungsmythischen Erzählung – Währungsreform, Wirtschaftswunder und Wunder von Bern – der alten BRD eingepasst” wurden.Sie dienten und dienen als identitätsstiftender Mythos: Selbstlos, optimistisch, fröhlich und gut aussehend räumten Trümmerfrauen nach dem Zusammenbruch der bisherigen gesellschaftlichen Ordnungen mit bloßen Händen (und Eimern) auf.
Die Historikerin sah sich nach der Veröffentlichung ihres Buches Morddrohungen ausgesetzt, weil sie mit ihrer Forschung die Trümmerfrau als deutsche Identifikationsfigur angezweifelt hat.
Das Bild der Trümmerfrau wird unterschiedlich instrumentalisiert
Die Ikone der Trümmerfrauen wurde von verschiedenen Gruppen in den Jahrzehnten seit Kriegsende unterschiedlich instrumentalisiert. Es gab ab 1945/46 viele Veröffentlichungen in Tageszeitungen und Frauenzeitschriften, in denen sowohl der Begriff als auch das Bild von der Trümmerfrau eingeführt wurden. Viele der Fotos waren gestellt, die Frauen auch geschminkt und mit einer vorteilhaften Arbeitskleidung ausgestattet.
In der DDR hatte die Trümmerfrau von den 1950er Jahren bis 1989/90 eine feste Rolle als positive Identifikationsfigur. Sie war wie ein Prototyp des neuen sozialistischen Ideals der Frau. Im Westen verschwand sie fast in der Bedeutungslosigkeit bis in die 1980er Jahre der Seniorenschutzbund „Graue Panther“ in der Rentendiskussion ein neues Bild prägten. Frauen ab dem Jahrgang 1921 waren Opfer der Zeit des Nationalsozialismus, die zunächst im Krieg unter Luftangriffen litten und danach als Trümmerfrauen und damit als Heldinnen Deutschland wieder aufbauten.
Ein Begriff, der weibliche Stereotype beflügelt
“Dieser identitätsstiftende Mythos der Trümmerfrau ist offensichtlich ein sehr emotionales Thema. Es geht gar nicht darum, die Leistung der Menschen nicht anzuerkennen, die aufgeräumt haben. Nur war ihr Anteil von 5 % an der Gesamtleistung relativ klein”, meint Dr. Joanna Szkolnicka bei dem Nachbarschaftsgespräch. Wichtiger sei anzuerkennen, dass der Begriff benutzt werde, um weibliche Stereotype zu beflügeln, wie das von der selbstlos sorgenden Hausfrau und Mutter als nationales Symbol. Unter den Tisch falle dabei, dass einen großen Teil der Wiederaufbau-Arbeit Gastarbeiter*innen geleistet haben.
Ein interessanter Punkt im Nachbarschaftsgespräch war, dass die Alliierten ihre Rollenbilder in die Besatzungszonen übertrugen. Die sowjetischen Alliierten brachten ein Frauenbild in die ostdeutsche Besatzungszone ein, bei dem Frauen als gleichwertige Arbeitskräfte gesehen wurden. Die westlichen Alliierten, vor allem die USA, stellten ein Frauenbild als Hausfrau und Mutter in den Vordergrund. Die Zahl der Trümmerfrauen war dementsprechend in Westdeutschland geringer.
Treber zeigt in ihrem Buch, wie nach der Wiedervereinigung die beiden unterschiedlichen west- und ostdeutschen Trümmerfrauen-Traditionen auffallend schnell zu einer gesamtgesellschaftlichen Erzählung wurden, die von Politiker*innen immer wieder gern genutzt wird, wenn an die Leistungs- und Opferbereitschaft der Deutschen appelliert werden soll.
Die Instrumentalisierung des Begriffs in der Gegenwart
In der Gegenwart wird die Trümmerfrau zunehmend vom rechten Rand instrumentalisiert, wie Helke Dreier vom AddF (Archiv der deutschen Frauenbewegung) aus Kassel bei der Tagung im September berichtete. Sie beschäftigte sich mit dem Thema, weil die AfD ein Denkmal zur Erinnerung an Trümmerfrauen in Kassel errichten wollte.
Die Tagung beim CfP zeigte, dass der Begriff der Trümmerfrau inzwischen weltweit verwendet wird. Beispielsweise sprach Dr. habil. Anne D. Peier von der Université La Réunion über Ruanda und die Projektionen der Geschichte der deutschen “Wirtschaftswunderjahre” auf die Zeit nach dem Genozid an den Tutsi 1994.
Die kleine Aufbauhelferin in Pankow von Gertrud Classen
Ausgangspunkt für die Tagung und das Nachbarschaftsgespräch war die Statue “Kleine Aufbauhelferin” in der Pankower Ossietzkystraße von Gertrud Classen.
Sie war von 1950 – 1953 Meisterschülerin an der Akademie der Künste in der DDR und bis 1965 als freischaffende Bildhauerin tätig.
Ihre Biografie hat die AG SpurenSuche des Frauenbeirats Pankow erforscht und in einem kleinen Band 2017 mit veröffentlicht.