Am Mittwoch, den 21.10.2020 fand unser fünfter Paula Talk statt. Diesmal hatten wir die freie Journalistin Hannah El-Hitami zu Gast. Unsere Vorstandsfrau Lea Marignoni sprach mit ihr über Feminismus und Islam, ihre Arbeit als Journalistin und die aktuellen feministischen Bestrebungen in Ägypten.
Hannah El-Hitami, die arabische Literatur und Kultur studiert hat, schreibt am liebsten über Gesellschaft und Politik der arabischen Welt, über Migration sowie postkoloniale Perspektiven. Das hat auch einen persönlichen Hintergrund: Ihr Vater ist Ägypter und sie reist häufig nach Ägypten.
Im Moment berichtet Hannah viel aus Koblenz vom weltweit ersten Prozess gegen zwei mutmaßliche Handlanger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vor dem Oberlandesgericht.
Wir brauchen mehr Diversität im Journalismus
Hannah erzählt, dass sie als Frau in Deutschland im Journalismus mit den üblichen Problemen konfrontiert ist: nicht als professionelle Person wahrgenommen oder einfach übergangen zu werden. Das ist in ihren Augen jedoch nicht das Hauptproblem: Ihrer Meinung nach müssten sich deutsche Medien insgesamt mehr mit dem Thema Diversität im Journalismus auseinandersetzen. Die Fragen sind:
– Wer schreibt eigentlich?
– Wer hat Zugang zu journalistischen Ausbildungen und Berufen?
– Sind auch migrantische Stimmen dabei?
Sie bemängelt beispielsweise, dass bei Berichten und Korrespondenzen aus arabischsprachigen Regionen häufig Menschen berichten, die selbst kein arabisch sprechen. Arabischkenntnisse werden oft nicht einmal in Stellenausschreibungen deutscher Medien für Korrespondentenstellen in arabischsprachigen Ländern gefordert. Bei anderen Sprachen wie beispielsweise Spanisch beobachtet sie das nicht.
Hannahs Weg zum Feminismus
Wie sie genau zum Feminismus gekommen ist und seit wann sie sich für feministische Themen interessiert, kann Hannah nicht so genau sagen. Geprägt hat sie jedoch besonders ein halbjähriger Aufenthalt in Kairo nach dem Abitur. Hier erlebte sie viel Belästigung, blöde Sprüche und Blicke in der Öffentlichkeit. Das machte sie wütend und trug dazu bei, sich mit ungleichen Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen – nicht nur in Kairo, sondern auch in Deutschland.
Wer wird gehört und wer darf sprechen?
Ebenfalls prägend für sie war ihr Masterstudium, in dem sie sich intensiv mit postkolonialen Theorien auseinandersetzte. Dabei geht es darum, mächtige Stimmen, herrschende Machtverhältnisse und eine eurozentristische Perspektive infrage zu stellen. Hannah bemerkte schnell, dass sich dieser Ansatz auf die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Geschlechtern übertragen lässt. Vor allem bei den Fragen, wer eigentlich gehört wird sowie wer sprechen kann und darf, herrscht ein klares Machtgefälle zwischen den Geschlechtern.
Eine intersektionale Perspektive ist unerlässlich
Als Journalistin hat Hannah schon einige Frauen mit Migrationshintergrund interviewt. Auf die Frage, inwiefern das zu einer neuen Perspektive auf den Feminismus bei ihr geführt hat, erzählt sie, dass für sie vor allem ein intersektionaler Blick auf Feminismus hinzugekommen ist. Feminismus ist eben nur ein Aspekt von vielen beim Kampf um Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung. Anti-Rassismus sei beispielsweise genauso wichtig, sagt Hannah. Der Begriff „Feminismus“ muss erweitert werden, damit an alle Frauen gedacht werden kann.
Wie Rassismus und Sexismus miteinander verknüpft sind
Hannah macht an einem Beispiel deutlich, wie Rassismus und Sexismus zusammenhängen: Ihr ist aufgefallen, dass vor allem über Frauen aus Nordafrika in sehr rassistischer Weise geredet wird. Die Annahme, dass alle Frauen dort unterdrückt sein müssten, schwingt dabei häufig mit. Sie rät dazu, mehr im eigenen Umfeld und im eigenen Land zu schauen. Als Beispiel erzählt sie von einer Studie, die den Umgang mit sogenannten „Ehrenmorden“ und mit anderen Morden an Frauen in Deutschland vergleicht. Die Studie zeigt, dass häufig die Unterstellung herrscht, ein Ehrenmord sei viel „schlimmer“ als ein Mord aus Eifersucht oder anderen Gründen.
Die Körper der Frauen als Ort von Debatten
Ausführlicher sprechen Hannah und Lea über die sogenannte Kopftuchdebatte. Hannah bemerkt, dass sich der politische Diskurs über Frauen, die ein Kopftuch tragen, seit 2015 nochmals verschärft hat. Dieser Diskurs ist nicht neu, sondern historisch gesehen eine gängige Sache. Schon immer wurden politische Debatten auf dem Körper der Frau ausgetragen und der Körper der Frau als Maßstab genommen, ohne ihnen dabei ein Mitspracherecht einzuräumen. In rechten Debatten wird oft deutlich, dass es nicht um Feminismus oder eine Befreiung der Frau geht. Die Behauptung, dass Männer „ihre“ Frauen in Gefahr sehen und sie schützen wollen, verdeutlicht eigene Besitzansprüche an „ihre“ Frauen. Frauen werden so zu Objekten, die Männern dazu dienen, in der Hierarchie selbst besser dazustehen.
Frauen mit Kopftuch können feministisch sein!
Die immer wiederkehrenden Fragen, ob Frauen mit Kopftuch Feministinnen sein können und ob Islam und Feminismus zusammengeht, sollten Hannahs Meinung nach gar nicht mehr gestellt werden. „Feminismus ist kein Zustand, sondern es geht immer darum, in einer Situation etwas zu verbessern“, bemerkt sie. Im Grunde seien alle Religionen patriarchal geprägt, so wie die gesamte Geschichte der Menschheit. Trotzdem können religiöse Frauen feministisch sein. Der Sinn von Feminismus sei es, genau diese patriarchalen Verhältnisse verändern zu wollen, und zwar in allen Bereichen des Lebens.
Die Vorurteile gegenüber dem Islam sind historisch verwurzelt
Gegenüber dem Islam gibt es zahlreiche Vorurteile und Klischees, unter anderem, dass er frauenfeindlich sei. Auch der Islam habe wie andere Religionen eine patriarchale Geschichte, könne aber ebenso feministisch ausgelegt werden, da die arabische Sprache sehr flexibel ist, erklärt Hannah. Sie sieht das negative Bild vor allem historisch verwurzelt: Die Region, in der sich der Islam entwickelt hat, ist geographisch relativ nah an Europa. So wurde der Islam, der sich sehr schnell und erfolgreich ausbreitete, als direkte Konkurrenz zum Christentum und damit als gefährlich angesehen. In der Epoche der Aufklärung, als Europa wirtschaftlich und intellektuell aufstieg, kehrte sich die Situation um und der Islam wurde minderwertiger betrachtet. Er diente in der Geschichte immer als Gegenstück zu Europa. Gleichzeitig wurde der Orient in Europa als Ort des heimlichen Begehrens, als erotisch und geheimnisvoll, aber auch als schmutzig und verrucht konstruiert. Diese Vorstellungen fänden sich auch heute noch, ob in den Meinungen einzelner Personen, oder auch in Filmen, Büchern, Serien und in der Werbung.
Die Feindseligkeit gegenüber dem Islam ist also historisch gewachsen. Es herrscht eine spezifische Konkurrenz, die sich bis heute zeigt. Darum ist es so schwierig, die Hürden zu überwinden, Vorurteile abzulegen und Muslim*innen als ganz normale Teilnehmer*innen der Gesellschaft anzusehen.
Feministische Kämpfe in Ägypten
Dass feministische Kämpfe sehr anders aussehen können, je nachdem wo sie stattfinden, zeige sich an den Unterschieden zwischen Deutschland und Ägypten: Die Voraussetzungen, sich politisch beteiligen zu können, sind in Ägypten ganz andere. Da viel mehr auf dem Spiel steht als in Deutschland, ist die aktive, feministische Community in Ägypten deutlich kleiner. Auch sind die Themen aufgrund einer anderen Gesetzeslage unterschiedlich. Die Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt ist zwar länderübergreifend ein Thema, aber beispielsweise spielen Fragen nach beruflicher Gleichstellung in Ägypten bisher kaum eine Rolle. Seit 2011 sind immer mehr Frauen in Ägypten in die Öffentlichkeit gegangen und legten den Grundstein für eine feministische Bewegung. Aktuell setzt sich die ägyptische Öffentlichkeit mit sexuellen Belästigungen auseinander. Mehrere Männer wurden durch den öffentlichen Aufschrei der Frauen in Ägypten angezeigt und verurteilt.
In Deutschland und in Ägypten zeigt sich, dass sich das Kämpfen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung lohnt.
Der Paula Talk mit Hannah El-Hitami ist weiterhin in voller Länge auf unserem YouTube-Kanal zu sehen: